In der vollbesetzten Stadthalle Northeim haben SPD-Bundesvorsitzender Franz Müntefering und Bundestagsabgeordneter Dr. Wilhelm Priesmeier die Ziele der Sozialdemokraten für die kommenden Jahre erläutert. Dabei machte Priesmeier deutlich, dass er erneut den Wahlkreis mit absoluter Mehrheit gewinnen will. Denn die Bundestagswahl am 27. September sei eine Richtungswahl: entweder den Sozialstaat zu kündigen oder die SPD in die Regierungsverantwortung zu wählen. Und wenn die FDP Steuersenkungen verspreche, dann sei das entweder ein leeres Versprechen oder bedeute einen tiefen Einschnitt ins soziale System.

Diesen Gedanken nahm Müntefering als Hauptredner auf. Wer Steuersenkungen wolle, müsse auch sagen, dass er bei der gesetzlichen Rentenversicherung und der Krankenversicherung sparen wolle und dass die Finanzierung der Pflege schwierig werde. Wenn die FDP 80 Milliarden Euro weniger an Steuern erheben wolle, dann müsse man wissen, dass das genau der Betrag ist, den der Bund jedes Jahr in die Rentenversicherung gibt, damit die Beiträge nicht zu hoch werden. Und 12 Milliarden Euro zahle der Bund an die Krankenversicherungen, damit die Kinder kostenfrei mitversichert sind. Wenn man hier sparen wolle, müsse sich jeder zusätzlich privat versichern, wenn er weiter die gleichen Leistungen haben wolle. Eine private Krankenversicherung könne sich aber nicht jeder leisten, gab er zu bedenken.

In einfachen Worten erläuterte der Bundesvorsitzende das Regierungsprogramm von Frank-Walter Steinmeier mit den Schwerpunkten Arbeit, Bildung und Nachhaltigkeit. Dabei verfolge die SPD das Ziel, mittelfristig vier Millionen neue Arbeitsplätze zu schaffen. „Man muss auch den Mut haben zu sagen, wie wir das machen wollen“, sagte er und legte gleich los. „Wir wollen Autos haben, in die man kein Benzin mehr schütten muss“, zeigte er einen Forschungsbereich auf. Auch in der Medizin müsse geforscht werden, um bessere Medikamente beispielsweise gegen Krebs, Demenz oder AIDS zu erhalten. Hier sei das Geld besser angelegt als in ehrgeizigen Weltraumprogrammen. „Was sollen wir auf dem Mond. Da waren wir schon“, sagte er unter großem Beifall. Ebenso müsse man Geld in die Breitbandvernetzung stecken, damit man überall in Deutschland einen schnellen Internet-Zugang hat. Das sei ein „weltbedeutendes Thema“, wenn man in die Zukunft schaue.

Erneuerbare Energien statt Atomstrom, war ein weiteres Thema. Niemand auf der Welt wisse, wo man auf Dauer die abgebrannten Brennstäbe aus Kernkraftwerken lassen soll. Andererseits sei Deutschland in der Erforschung erneuerbarer Energien weit vorne in der Welt. 350 000 Arbeitsplätze seien hier in den vergangenen Jahren entstanden. Und auch für Kohlekraftwerke habe man hierzulande einen großen Wissensvorsprung. „Wir haben das Können“, wenn es um die Sicherheit der Bergleute im Erzabbau gehe, bei der Reduzierung von Abgasen und die effiziente Nutzung der Energie. Die Forschung müsse in der Wirtschaft wieder eine viel größere Bedeutung erhalten.

Die meisten neuen Arbeitsplätze werden nach Münteferings Erläuterungen aber bei den sozialen Dienstleistungen entstehen. „Wir werden mehr Menschen brauchen“ in Horten und Kinderkrippen. Da die ersten sechs bis acht Jahre für die Entwicklung eines Kindes entscheidend seien, müsse man auch Wert auf sehr qualifizierte Erzieherinnen legen. Und der Lohn müsse stimmen: „Wenn in KiTas mehr Männer arbeiten würden, wären dort auch die Löhne höher“, machte er auf ein weiteres Problem aufmerksam. Auch das gesamte Bildungssystem müsse neu organisiert werden, indem Bund, Länder und Gemeinden besser miteinander vernetzt werden. Das Schulsystem in Deutschland sei „ein großes Durcheinander“, kritisierte er.

Weitere Arbeitskräfte würden in der älter werdenden Gesellschaft im Bereich der Pflege und Betreuung benötigt. „Es kostet Geld, Menschen zu helfen. Es fehlen examinierte Pflegekräfte“, sagte Müntefering. Viele alte Menschen seien zudem einsam und brauchten Zuwendung.

Woher das Geld kommen soll, machte er auch gleich deutlich: Für die Reichen und Leistungsstarken in der Gesellschaft werde die SPD die Steuern erhöhen. Paare, die pro Monat mehr als 20 000 Euro verdienen, müssten einen größeren Beitrag zur sozialen Gesellschaft leisten, erklärte er.

Nachdem der Parteivorsitzende auf die Forderung von Mindestlöhnen und den Erhalt des Kündigungsschutzes eingegangen war, kritisierte er die „unanständig hohe Einkommen“ in der Finanzwirtschaft. Auch müsse die Politik anders als bisher auf die internationalen Finanzmärkte eingehen. Die Finanzkrise habe gezeigt, dass „wir noch nationalstaatlich denken“, obwohl die Welt global funktioniere. Waren, Informationen und Geld gingen immer schneller um die Welt. Hier gelte es, den Primat der Politik zurückzugewinnen. „Wir müssen verhindern, dass das Geld mit uns macht, was es will. Ich will Regeln haben, denn Geld und Wirtschaft sind für die Menschen da!“ Es sei schon bedenklich, wenn Menschen Geld nicht als Zahlungsmittel, sondern als Spekulationsobjekt ansähen. „Demokratisch Legitimierte, eben Politiker, sollen das regulieren. Das müssen die 27 europäischen Staaten schnell regeln, auch ohne eine europäische Regierung."

(Foto und Text K.H.Bleß)